Hätten Sie es gewusst?

Ist eine Videoverhandlung im Betreuungsverfahren möglich?

Ja, unter bestimmten Umständen, sagt das Amtsgericht Offenbach in seinem Beschluss vom 23.02.2023 (Az. 2 XVII 403/22).

Nach § 278 Abs. 1 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) muss das Gericht vor der Bestellung eines Betreuers bzw. einer Betreuerin oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts den Betroffenen persönlich anhören und dessen Wünsche erfragen. Es hat sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Diesen persönlichen Eindruck soll sich das Gericht in dessen üblicher Umgebung verschaffen, wenn es der Betroffene verlangt oder wenn es der Sachaufklärung dient und der Betroffene nicht widerspricht.

Hintergrund der Entscheidung, eine Videoverhandlung zuzulassen, war die große Entfernung zwischen dem Aufenthaltsort des Betroffenen, der in der Berliner Charité war, und dem zuständigen Amtsgericht in Offenbach. Deshalb hielt es das Amtsgericht für praktikabler, die Anhörung per Video durchzuführen. Der Betroffene wurde hierbei von der Klinik unterstützt. Das Amtsgericht konnte sich einen ausreichenden persönlichen Eindruck verschaffen. Gleiches gilt für den Verfahrenspfleger, der ebenfalls zugeschaltet war. Eine solche Verfahrensweise war gemäß § 32 Abs. 3 FamFG in Verbindung mit § 128a Zivilprozessordnung und aufgrund der Entfernung zwischen Berlin und Offenbach geboten bzw. gegenüber einer Anhörung im Wege der Rechtshilfe vorzugswürdig. § 32 Abs. 3 FamFG lässt es zu, dass das Gericht den Sachverhalt mit den Beteiligten im Wege der Bild- und Tonübertragung erörtert.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 23.03.2016, Az. 1 BvR 184/13) steht einer Anhörung im Wege der Video-Konferenz nicht entgegen, zumindest nicht dann, wenn wie hier alle Beteiligten mit einer solchen Verfahrensweise einverstanden sind. Das Bundesverfassungsgericht fordert in der zitierten Entscheidung eine persönliche Anhörung „im Angesicht“ des Betroffenen, also ein Sehen und – wie auch anders – ein Hören. Beides ist über Video gewährleistet. Die moderne Videokonferenztechnik lässt ein unmittelbares Gegenüber zu und ist geeignet, die Ziele des § 278 FamFG zu erreichen, wonach ein unmittelbarer Kontakt zum Betroffenen hergestellt und das Gericht in die Lage versetzt werden soll, sich ein eigenes Bild von den aktuellen Lebensumständen des Betroffenen zu machen.

Das regelmäßig durch die Videokonferenzanlage übertragene Bild entspricht in etwa der Lebenssituation, wie sie in einer Klinik mit einem in wenigen Metern Entfernung sitzenden Anzuhörenden entsteht. Verhalten, Auftreten, Mimik und Körpersprache des Gegenübers werden direkt übermittelt. Dem Gericht ist es schließlich mithilfe der Videokonferenztechnik auch möglich, die Tragweite einer Betreuung oder Unterbringung deutlich zu machen, und auch der Betroffene wie der Verfahrenspfleger haben die unmittelbare Gelegenheit zur persönlichen Äußerung.

Quelle: Amtsgericht Offenbach, Beschluss vom 23.02.2023, Az. 2 XVII 403/22

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