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Das Ehegattennotvertretungsrecht hat in diesem Fall Vorrang

Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass das Verfahren auf Bestellung einer Betreuerin oder eines Betreuers im Wege einer einstweiligen Anordnung, also im Eilverfahren, einzustellen ist. In der fraglichen Situation ging das Ehegattennotvertretungsrecht gemäß § 1358 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vor und machte eine Betreuerbestellung im Eilverfahren deshalb überflüssig.

Amtsgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 15.01.2023, Az. 43 XVII 178/23

Das ist passiert:

Ein Arzt des Universitätsklinikums Frankfurt am Main regte die Bestellung einer Betreuerin oder eines Betreuers für den Betroffenen im Wege einer einstweiligen Anordnung an. Der Betroffene war verheiratet. Das Klinikpersonal brachte außerdem vor, dass es eine „Sprachbarriere“ befürchtet, weil die Ehefrau nicht so gut Deutsch spräche.

Darum geht es:

Das Amtsgericht Frankfurt am Main sollte entscheiden, ob diese Betreuung im Eilverfahren angeordnet werden muss oder ob das Ehegattennotvertretungsrecht in diesem Fall eingreift.

Die Entscheidung:

Das Amtsgericht hat das Verfahren eingestellt, denn in der vorliegenden Konstellation ging das gemäß § 1358 BGB eintretende Ehegattennotvertretungsrecht vor.

Durch das Ehegattennotvertretungsrecht entsteht eine (zeitlich befristete) gesetzliche Vertretungsmacht in Gesundheitsangelegenheiten. Ehegatten sollen danach füreinander Entscheidungen über medizinische Behandlungen, Untersuchungen usw. treffen und Behandlungsverträge abschließen können, wenn ein Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit seine Angelegenheiten nicht mehr erledigen kann. Das Betreuungsgericht muss in solchem Fall keine gerichtliche Entscheidung über das Entstehen eines Vertretungsrechts feststellen.

Mit diesem Gesetz wollte der Gesetzgeber auch die Anzahl der gerichtlichen Verfahren auf Anordnung einstweiliger Anordnung bei verheirateten Ehegatten reduzieren. Diesem Motiv würde zuwidergehandelt, wenn nun doch regelhaft seitens der erstbehandelnden Krankenhäuser Eilbetreuungen angeregt werden, obwohl Ehegatten bekannt und präsent sind.

Zwar sind in § 1358 Abs. 3 BGB Ausnahmen zum Entstehen des Ehegattenvertretungsrechts vorgesehen. Solche liegen hier aber nicht vor und es ist zudem die Aufgabe des behandelnden Arztes oder der behandelnden Ärztin zu überprüfen, ob ein derartiger Ausnahmetatbestand gegeben ist. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber schließlich vorgesehen, dass das Nichtvorliegen der Ausschlussgründe in Abs. 3 seitens des vertretenden Ehegattens dem Arzt gegenüber versichert werden soll (§ 1358 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3b) BGB). Das Betreuungsgericht ist demnach auch nicht nach § 26 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit verpflichtet, diese Ermittlungen für die Ärztinnen und Ärzte zu übernehmen.

Die von der Klinik hier zusätzlich vorgebrachte „Sprachbarriere“ (so wörtlich) der Ehefrau stellt schon von vornherein keinen Ausschlussgrund für das Eintreten des Vertretungsrechts dar. Eine wie auch immer geartete Eignungsprüfung des Ehegatten findet vor Eintritt des gesetzlichen Ehegattennotvertretungsrechts nicht statt.

Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:

§ 1358 BGB ist lang und kompliziert. Dem Paragrafen liegt folgende Struktur zugrunde:

  • Abs. 1 und 2 der Norm regeln die Anwendungsfälle.
  • Abs. 3 befasst sich mit den Ausnahmefällen, also den „Nichtanwendungsfällen“.
  • Abs. 4 regelt die Verpflichtungen des behandelnden Arztes oder der Ärztin
  • Abs. 5 besagt, dass das Vertretungsrecht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn ein gesetzlicher Betreuer oder eine Betreuerin bestellt wurde, dessen/deren Aufgabenkreis die in Abs. 1 Nummer 1 bis 4 bezeichneten Angelegenheiten umfasst.
  • Abs. 6 führt aus, welche gesetzlichen Vorschriften, die für die Führung einer Betreuung gelten, entsprechend angewendet werden.

Zur Unterstützung des Kommunikationsprozesses zwischen vertretenden Ehegatten und behandelnden Ärzten haben u. a. die Bundesärztekammer und das Bundesjustizministerium einen entsprechenden Vordruck mitsamt der nach § 1358 Abs. 4 BGB notwendigen Bescheinigung erstellt.

Das Ehegattennotvertretungsrecht ist sinnvoll, denn es dient dem Bürokratieabbau. Aber es ist inhaltlich nur auf gesundheitliche Fragen und auch zeitlich auf sechs Monate (§ 1358 Abs. 3 Nr. 4 BGB) beschränkt. Deshalb ist es weiterhin notwendig und klug, eine Vorsorgevollmacht zu verfassen. Wir unterstützen Sie gerne dabei.

Quelle: Amtsgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 15.01.2023, Az. 43 XVII 178/23

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